Geschichte der Sozialdemokratie in Achim

„150 Jahre Sozialdemokraten in Achim“

von Edith Bielefeld und Karlheinz Gerhold

Im Jahre 2016 begeht die Achim SPD ihr 150. Jubiläum, gibt es nach unseren Recherchen doch seit spätestens 1866, also seit 150 Jahren, Sozialdemokraten in Achim. Ein guter Anlass, sich mit der Geschichte der ältesten Partei Deutschlands hier vor Ort zu befassen.

 

Ein Ausspuch des französischen Reformsozialisten Jean Jaurès mag dabei unsere Motivation für den Rückblick auf die Achimer Arbeiterbewegung erklären; er sagte:

„Tradition heißt nicht, Asche zu bewahren –
sondern eine Flamme am Leben zu erhalten!“

 

Keimzelle der Achimer Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert waren die Zigarrenarbeiter, die sich in Folge der Anschlusses des Königreiches Hannover an den Deutschen Zollverein im Jahre 1854 in Achim – und damit im Bremer Ausland (!) – ansiedelten. Achims Einwohnerzahlen nahmen drastisch zu. Langsam entwickelt sich Achim vom Bauerndorf zur Stadt, was dem Ort offiziell und formell erst im Jahre 1949 gelingen sollte.

 

Die Zigarrenarbeiter gründeten im Jahre 1865 deutschlandweit die erste deutsche Gewerkschaft, den Allgemeinen Deutschen Cigarrenarbeiter – Verein (ADCAV). Fast von Anfang an gab es in Achim eine Ortsgruppe des ADCAV.
Die Arbeiter hatten sich wohl bereits 1866 zu einem Cigarrenarbeiterverein Achim zusammengeschlossen, und die ersten Anfragen aus Achim an den „Socialdemokratischen Wahlverein Bremen“ wegen der Übersendung von Schriften stammen ebenfalls aus diesem Jahr. Deshalb nehmen wir an, dass die Achimer Zigarrenarbeiter sich auch damals bereits politisch organisiert hatten. Im Jahre 1867 gründeten etliche von ihnen den Arbeiterturnverein Achim, der neben dem bereits existierenden Turnverein zu Achim aus dem Jahre 1860 bis zur sog. Gleichschaltung durch die Nazis im Jahre 1933 existierte.
Leiter der Achimer Zahlstelle des Cigarrenarbeiter – Vereins war der aus Dessau stammende Leopold Lingner, die herausragende Persönlichkeit – Vorkämpfer und Wegbereiter der Achimer Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung des 19. Jahrhunderts – ein Arbeiterführer, wie er im Buche steht.

Lingner – selbst Zigarrenarbeiter und Gastwirt in der Herbergstraße – leitete zum Beispiel den Norddeutschen Zigarrenarbeiter-Tag, der am 13. und 14. September 1874 in Achim stattfand. Dieser forderte eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Zigarrenarbeiter.
Lingner war im Jahre 1875 auch der Vertreter der 118 Achimer Sozialdemokraten auf dem legendären Vereinigungs-Congress des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV), der Lassalleaner, und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) um Wilhelm Liebknecht und August Bebel. Der Congress fand vom 22. bis zum 27. Mai 1875 in Gotha statt.
Doch wie begann alles?

Ferdinand Lassalle hatte im Jahre 1863 in Leipzig den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein gegründet.

Im § 1 des Statuts heißt es:

„Unter dem Namen Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein begründen die Unterzeichneten für die Deutschen Bundesstaaten einen Verein, welcher, von der Überzeugung ausgehend, dass nur durch das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht eine genügende Vertretung der sozialen Interessen des Deutschen Arbeiterstandes und eine wahrhafte Beseitigung der Klassengegensätze in der Gesellschaft herbeigeführt werden kann, den Zweck verfolgt, auf friedlichem und legalem Wege, insbesondere durch das Gewinnen der öffentlichen Überzeugung, für die Herstellung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts zu wirken.“

 

Und im Jahre 1868 kam es dann auch zur offiziellen Gründung eines Ortsvereins Achim des ADAV, die sich als Lassalleaner verstanden.. Die erste Versammlung der 52 Gründungsmitglieder fand am 8. Juni 1868 in Rühes Gasthof statt. Der ADAV Achim wurde per 1.1.1868 dann offiziell in den bundesweiten ADAV aufgenommen. Getroffen haben sich die politisch interessierten und hoch motivierten Achimer Sozialdemokraten sicherlich schon seit 1866 regelmäig.

Die Arbeiter mischten sich früh auch in die Gemeindepolitik Achims ein, indem sie sich in den Gemeindeausschuss, das für die Kommunalpolitik in Achim zuständige Gremium – vergleichbar mit heutigen Stadtrat, wählen ließen. Da sie Arbeiter waren und nur wenig Steuern zahlten, brauchten sie nach dem preußischen Fünf-Klassen-Wahlsystem viele Stimmen von Achimer Wählern, um in der 5. Klasse gewählt zu werden. In den anderen 4 Klassen reichten weitaus weniger Wählerstimmen aus. Leopold Lingner, Conrad Meyer und andere vertraten die Arbeiter im Gemeindeausschuss.

Der „Socialdemokratische Wahlverein Achim“ wurde im Jahre 1878 auf Grund des von Bismarck initiierten Sozialistengesetzes verboten. Doch Lingner wehrte sich 1878 – wenn auch vergeblich – gegen diese Auflösung des „Sozialdemokratischen Wahlvereins Achim“, die von der preußischen Obrigkeit als Folge des Bismarckschen Sozialistengesetztes verordnet worden war. Trotz politischer Verfolgung und Hetze ließen sich die Achimer Arbeiter nicht unterkriegen, blieben sie – zum Teil im Untergrund – aktiv. Gesangvereine wie der Gesangverein „Vorwärts“ Achim und Turnvereine boten hier Gelegenheit zu Treffen und auch politischem Austausch.

Und 1892 – nach dem Ende des Sozialistengesetzes – gründeten sie den „Socialdemokratischen Wahlverein Achim“ erneut. Im gleichen Jahr eröffnete der Consum-Verein eine Verkaufsstelle in Achim. Auch hier waren Achimer Sozialdemokraten aktiv vertreten.

Schon in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts traf sich die Achimer Arbeiterbewegung regelmäßig am 1. Mai, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Zu dieser Zeit arbeiteten Heinrich Ravens, Gottlieb Behr, Georg Becker – allesamt Zigarrenarbeiter – im Gemeindeausschuss Achim mit.

Die politischen Auseinandersetzungen wegen der Befürwortung der Kriegskredite durch die SPD-Fraktion im Reichstag während des 1. Weltkrieges (1914 – 1918) spalteten auch die Achimer Arbeiterbewegung. Es gab gegen Ende und nach dem Krieg Mehrheitssozialisten und Unabhängige Sozialisten (USPD) auch in Achim. Sie arbeiteten im Arbeiter- und Soldatenrat, der für kurze Zeit nach der Novemberrevolution 1918 Verantwortung übernommen hatte. Die Mehrheitssozialisten und die Mehrheit der Unabhängigen Sozialisten schlossen sich erst Anfang der 20er Jahre wieder zur SPD zusammen. Sie unterstützten gemeinsam die erste deutsche Demokratie in der Weimarer Republik. Gegen Ende der 20er Jahre versuchten die Sozialdemokraten noch, durch die Bildung der „Eisernen Front“, einer Zusammenführung aller antifaschistischen Kräfte, die Republik gegen die Nationalsozialisten zu retten. Aber vergebens: Die SPD-Mitglieder, die noch im März 1933 in die Gemeindeausschüsse gewählt worden waren, wurden von den Nazis gezwungen, ihre Mandate niederzulegen. So blieben die Faschisten unter sich.

Einzelne Sozialdemokraten in Achim versuchten noch Widerstand zu leisten. Sie wurden verhaftet (z.B. Carsten Meyer, Dietrich Seekamp aus Achim, Dietrich Focke, Max Köhler, Engelbert Mosink, Johann Schmidt, Johann Schierloh, Hermann Schmidt und Hermann Laakmann aus dem Ortsverein Arbergen-Mahndorf-Uphusen) und geschlagen, verurteilt, aus ihren Berufen gejagt (Albert Theißen und Richard Kurzweil aus Uesen), vor Ort verfolgt, ihre Organisationen, die Partei, der Arbeiterturnverein und der Arbeitergesangverein, sowie die Gewerkschaft zerschlagen. Sie konnten sich nur noch privat und z. B. im Kaninchenzuchtverein treffen.

Nach dem 2. Weltkrieg (1939 – 1945) und der Befreiung vom Faschismus wurde von der britischen Militärregierung eine vorläufige Gemeindevertretung und der Sozialdemokrat und als Antifaschist bekannte Fritz Rübeck als Bürgermeister eingesetzt: Die Sozialdemokraten Heinrich Fahrenholz, Carl Frankenfeld, Dietrich Seekamp, Gerhard van der Poll, Friedrich Burggräfe und andere waren die Männer der ersten Stunde….

Am 19. Mai 1945 trafen sich dann „nach 12 Jahren und einem Monat schlimmsten Nazi-Terrors“ (so der damalige Protokollführer Martin Brüns) die Sozialdemokraten wieder öffentlich im Lokal Rühe.

In Baden – dort war die SPD im Jahre 1919 gegründet worden – gründeten einige Antifaschisten eine „Kampfgemeinschaft gegen das Nazitum“. Johann Wülbers, Fritz Zickler und Wilhelm Voigt und andere waren dort aktiv.

Auch in der Gemeinder Uphusen – dort wurde die SPD 1907 gegründet – sowie in Uesen – hier gibt es die Partei seit 1924 – traten nach 1945 die Sozialdemokraten als fortschrittliche Kräfte in den Vordergrund und stellten oft auch die Bürgermeister: Johann Wülbers und Friedrich („Friedel“) Emigholz in Baden sowie Heinrich Laakmann und Heinz Meyer in Uesen.

Martin Brüns (* 14. Mai 1911 in Achim, Kreis Verden; † 12. Oktober 1976 in Bremen) gehörte ebenfalls zu den engagierten Sozialdemokraten der ersten Stunde. Brüns besuchte die Volksschule in Achim und nahm im Anschluss eine Lehre als Schriftsetzer auf. Nach vierjähriger Arbeitslosigkeit wechselte er den Beruf und wurde Dreher. Dem Berufswechsel folgte eine zehnjährige Tätigkeit im Schiffbau in Bremen. Nach der Machtergreifung nahm er ab 1933 an illegalen politischen Betätigungen im Widerstand teil. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 wechselte er in die Kommunalverwaltung des Landkreises Rotenburg.
Bereits seit 1925 war er Mitglied der Freien Gewerkschaft und zudem seit 1927 Funktionär der Sozialistischen Arbeiterjugend. Brüns wurde Mitglied der SPD im Jahr 1930. Zwischen 1946 und 1952 war er Parteisekretär der SPD und wurde Mitglied des ernannten und 1946 des gewählten Gemeinderates. Zwei Jahre später wurde er Kreistagsabgeordneter des Kreises Verden und im Januar 1959 Bürgermeister in Bierden. Von April 1961 bis September 1968 war er stellvertretender Landrat des Kreises Verden. Brüns war zudem Mitglied des Niedersächsischen Landtages der 1. bis 7. Wahlperiode, also vom 20. April 1947 bis zum 20. Juni 1974Im Jahre 1966 wurde er mit dem Großen Verdienstkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland geehrt. Er ist auch Träger des Großen Verdienstkreuzes des Niedersächsischen Verdienstordens.

Als wohl bekanntester Sohn der Stadt Achim dürfte der Sozialdemokrat Karl Ravens gelten: Der gebürtige Achimer hat eine beachtliche politische Karriere und Ämterlaufbahn absolviert und in seinem politischen Wirken für die sozialdemokratische Idee eine Lebensleistung vollbracht, die ihm 1991 die höchste niedersächsische Auszeichnung, die Landesmedaille, einbrachte und selbst vom politischen Gegner mit Respekt gewürdigt wird. Damals erhielt Ravens die Auszeichnung aus der Hand des damaligen Niedersächsischen Ministerpräsidenten und späteren Bundeskanzlers Gerhard Schröder, und zwar mit den Worten, Karl Ravens habe ein Stück niedersächsischer Landesgeschichte mitgeschrieben.

Seine politische Karriere begann Ravens mit seinem Eintritt in die Achimer SPD im Jahre 1950, nachdem er sich bereits vorher in der sozialdemokratischen Jugendorganisation, bei den Achimer Falken engagiert hatte. Schon 1956 wurde Ravens, der nach einer Lehre als Flugzeugbauer bei den Focke-Wulf-Werken in Bremen bei der Altbremer Firma Borgward als Lehrlingsausbilder arbeitete, Mitglied des Rates der Stadt Achim, später Gemeinderatsmitglied in Bierden und stellvertretender Bierdener Bürgermeister. Von 1957 bis 1976 war der Vollblutpolitiker auch Kreistagsabgeordneter. Im Jahre 1961 gewann Ravens das Direktmandat des Bundestagswahlkreises und begann damit seine Bonner Tätigkeit als Berufspolitiker. Als Parlamentarischer Staatssekretär zuerst in Bauministerium (1969 – 1972) und dann im Kanzleramt unter Willy Brandt (1972 – 1974) erwarb sich der Achimer Regierungserfahrung in der sozialliberalen Koalition als enger Vertrauter des Bundeskanzlers Willy Brandt. Nach dessen Rücktritt wirkte Ravens als Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau unter Helmut Schmidt (bis 1978). Nach vielen Höhen erlebte Ravens aber auch Tiefschläge im politischen Alltagsgeschäft, so sein vergeblicher Versuch Ministerpräsident von Niedersachsen zu werden. Stattdessen amtierte er im Niedersächsischen Landtag als Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion (1978 -1986) und als Landtags-Vizepräsident (1986 – 1990).

Im Jahre 1968 errang die SPD in Achim die Mehrheit im Stadtrat und wählte Christoph Rippich zum Bürgermeister. Dieses Amt hatte er 38 Jahre lang(!) bis zum Jahr 2006 – seit 1998 als hauptamtlicher Bprgermeister – inne. Der heutige Ehrenbürgermeister Rippich hat die Stadtgeschichte wie kein anderer begleitet und geprägt. In seine Amtszeiten fallen der Rathausneubau, die Stadtsanierung, der Gewerbepark Uesen, die Gründung des Kulturhauses Alter Schützenhof (KASCH), um nur Einiges zu nennen.

1972 wurden die Gemeinden Uphusen, Bierden, Embsen, Uesen und Baden im Zuge der Niedersächsischen Verwaltungs- und Gebietsreform zur neuen Stadt Achim – dem Mittelzentrum vor den Toren Bremens mit heute über 30000 Einwohnern – zusammengeschlossen.

Seitdem ist die SPD in Achim die führende politische Kraft und stellte stets die größte Fraktion im Rat der Stadt.

 

Literaturhinweise:

Bielefeld, Edith/Gerhold, Karlheinz/Knof-Grotevent, Christiane: 125 Jahre Sozialdemokraten in Achim. Chronik der traditionsreichen Achimer Sozialdemokratie 1866-1991, Achim 1991.

Bielefeld, Edith/Gerhold, Karlheinz/Knof-Grotevent, Christiane (Hg.): “Gerüstet für die Kämpfe in kommender Zeit”, Die Protokollbücher der Achimer SPD 1912 – 1954. Ein Beitrag zur 125-jährigen Geschichte der Achimer Arbeiterbewegung, Achim 1991.